Kommt es vor, dass Eltern ihr Kind nicht lieben? Und was dann?

Die Tochter. Es gibt Eltern, die ihre Kinder nicht lieben. Oder irgendwie nicht leiden können. Solche Sätze schlagen ein wie eine Abrissbirne, und rufen Assoziationen über böse, kaltherzige Menschen hervor. Deswegen halte ich es für eines der bestgehüteten Geheimnisse der modernen Familie, dass dies gar nicht so selten vorkommt. Doch wer aussprechen würde „Ich mag mein Kind, aber liebe es nicht aus tiefem Herzen“ oder gar „ich kann mein Kind irgendwie nicht leiden, es ist so ganz anders als ich“ oder, am schlimmsten, „ich wünschte, ich hätte es nicht bekommen“ bräche eins der größten Tabus und würde sich als Monster outen. Daher müssen diese Eltern mit solchen Gefühlen allein fertig werden. Sie ganz weit wegschieben, in tiefe verborgene Ecken, oder sich zermürbend schuldig fühlen. Das ist auch möglicherweise nicht völlig auflösbar, aber eine solche Anhäufung negativer Gefühle hilft am Ende niemandem, am wenigsten dem Kind.

Wie lässt sich fehlende Liebe kompensieren? Möglicherweise gar nicht, zumindest nicht vollständig, aber es gibt einen Ausweg; etwas, das man seinem Kind trotzdem geben kann, und das möglicherweise sogar einen größeren Wert hat für das Kind als Liebe. Das ist Respekt. Das ist gewiss auch nicht immer einfach, aber im Gegensatz zu Liebe ist es lern- und kontrollierbar.

Wie zum Teufel komme ich dazu, in Erwägung zu ziehen, dass es etwas gibt, das wichtiger ist als Liebe?? Ein Erklärungsversuch: ich habe in der Kinder- und Jugendpsychiatrie viele Eltern kennengelernt, die ihr Kind von Herzen liebten, aber trotzdem nicht vermochten, auf es einzugehen. Liebe, als Gefühl, nicht als Konzept, ist nämlich zunächst recht ichbezogen. Ein subjektives Gefühl, das vom Liebenden gestaltet wird, und noch keinerlei Aussage darüber zulässt, ob für den Empfänger überhaupt etwas Positives dabei herauskommt. Eltern können ihr Kind lieben und dennoch seine Bedürfnisse missachten, „nur das Beste wollen“ und dennoch unter Erwartungen erdrücken, anhimmeln und dennoch seine Grenzen überschreiten. Derselbe Satz funktioniert nicht mit „respektieren“. Weil Respekt nicht nur eine Empfindung des Liebenden ist, sondern die Bedürfnisse des Empfängers zwangläufig mit einschließt. Respekt fordert ein, sich den kleinen (oder schon großen) Menschen, der da vor einem steht, genau anzusehen. Wer ist das eigentlich? Was will er? Was braucht er? Respekt setzt in gewisser Weise voraus, das Wesen des anderen zu akzeptieren, auch wenn es nicht nach dem eigenen Geschmack ist. Den Wünschen des anderem eine Daseinsberechtigung einzuräumen, auch wenn sie nicht den eigenen entsprechen. Im Zweifelsfall kann man seinem Kind mit Respekt auch ohne Liebe mehr Selbstwert und Sicherheit verleihen und es besser bei seiner Entwicklung unterstützen als mit Liebe ohne Respekt.

Natürlich, im Idealfall bekommt ein Kind beides. Aber ich spreche grade nicht vom Ideal-, sondern vom Notfall. Und möchte beleuchten, dass dieser Notfall vielleicht gar nicht so düster sein muss.

Mutter, wie siehst du das?

Die Mutter Dein Text hat mich bewegt, sehr sogar. Du triffst damit einen Nerv. Elternliebe ist ein so schwieriges, heikles Thema. Auch, wenn du dein Kind liebst.  Es wird oft so getan, als wäre Elternliebe ein todsicherer Kompass, dem man nur folgen muss, und alles wird gut. So ein Quatsch. Du machst als Eltern so viele Fehler aus  Liebe. Weil du dein Kind vor allem beschützen und bewahren willst, weil du willst, dass es ihm so gut wie möglich geht, es keine Schmerzen und keine schlimmen Sachen erleiden muss, die du vielleicht selbst erleiden musstest – aus all diesen gut und liebevoll gemeinten Gründen latschst du permanent über seine Grenzen. „Hast du schon..“, „Musst du nicht…“, „Geht es dir auch gut…“, „Schaffst du das auch…“, „Komm, ich mach…“, „Lass mich mal…“. Sehr spät habe ich begriffen, dass ich als Eltern mit dieser Sorge eine ordentliche Portion Misstrauen signalisiere: nämlich dass ich nicht überzeugt bin, dass mein Kind die Dinge selbst auf die Reihe kriegt. Das ist keineswegs die vertrauensvolle ermutigende Botschaft, die doch eigentlich beabsichtigt ist.  Dauerndes Gesorge kann aufdringlich und entmündigend sein. Manchmal hat es beinahe etwas Aggressives, wenn Eltern aus Sorge ständig an ihren Kindern herummurksen. Und auch wenn ich nur das Beste will: Es ist  das Beste, das mir wichtig ist,  mit meinen Erfahrungen (auch Kindheitserfahrungen), meinen Prioritäten. Und weil es ja aus Liebe geschieht, schaue ich nicht genau hin: Was will mein Kind eigentlich? Was ist für diesen Menschen, seine Eigenarten und Bedürfnisse, das Beste?  Liebe kann Eltern blind machen. Und das ist nicht gut. Es ist so leicht, den eigenen Seelenprint zur Vorlage für die Bedürfnisse deines Kindes zu machen. Du hast Erziehungsratgeber noch und nöcher studiert und bist so überzeugt davon, dass es dir  nur um das Wohl deines Kindes geht, und du merkst es einfach nicht.  Du merkst nicht, dass es vor allem um dich selbst geht, um deine Vorstellung davon, ein guter Eltern zu sein. Wenn alles gut läuft und dein Kind zeigt, dass es im Leben funktioniert, dann hast du deine Mission erfüllt – so ist es doch. Wenn wir  Eltern sagen „aus Liebe“, müssten wir eigentlich kurz einhalten und uns sehr ehrlich fragen: wirklich?

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