„Sorry, plaudern wir noch oder flirten wir schon?“

DIE MUTTER. Beim Thema Flirten knirschen meine Scharniere etwas. Wann habe ich zuletzt einen Mann angesprochen, der mir gefiel? Wann gefiel mir ein Mann zuletzt?? Sehr langes Nachdenken. Lassen wir das mal. Andererseits habe ich oft Lust, Leute anzusprechen, weil mir irgendetwas an ihnen gefällt, weil ich sie schön, interessant, sexy finde.

Es gibt so eine Art Menschflirten: Anschauen, anlachen, Kompliment machen, egal ob Mann oder Frau, jung oder alt. So eine kurze Verbindung, die nichts mit Anmachen zu tun hat. Das Buch, das Sie da lesen, kenne ich, das ist toll. Sie haben irre schöne Augen, darf ich das sagen? Wo haben Sie diese Schuhe her? –  ganz schlicht.

Mein britischer Freund Stuart ist Meister darin. Er stellt sich mit unverhohlener Neugier freundlichst lächelnd vor einen Menschen hin und sagt: „Hallo, ich bin Stuart, und wer sind Sie so?“ Und schon reden sie und reden. Dieses Menschenflirten ist eine sehr erquickliche Angelegenheit,  wie ein kurzer flüchtiger Seelenkuss. Das braucht keine gestelzt witzigen Intros, es geht nicht darum, jemanden zu beeindrucken oder „herumzubekommen“, das wird ja vielleicht sowieso weniger. Trotzdem ist das Menschenflirten durchaus erotisch: Dieses kurze Berühren, dieser kurz Funke des einander Erkennens als Mensch fühlt sich manchmal nicht weniger befriedigend an als Sex.

DIE TOCHTER. Mir hat ‚mal jemand gesagt, ich würde mit allen flirten. So’n Quatsch, dachte ich, du findest einfach nur, dass jede Freundlichkeit und jede Kontaktaufnahme Flirten ist. Ich rede gern gelegentlich mit fremden Menschen. Menschenflirten? Vielleicht. Dieses zwischenmenschliche Schnacken, wenn sich’s ergibt. „Cooles T-Shirt“ zu einer Frau im Club, „was liest du denn da?“ zu einem Kind in der Bahn mir gegenüber, „welch‘ erfrischender Sommerregen!“ zu einem Mann an der Ampel, an der wir grade beide das schlammige Spritzwasser vom vorbeifahrenden LKW abbekommen haben.

„Man weckt vielleicht falsche Erwartungen, wenn man jemandem vom anderen Geschlecht anspricht und es aber dann nur platonisch meint“, sagte neulich ein Bekannter von mir. „Öhm“ sagte ich, „welche Erwartungen weckt man denn mit „Hallo“?“. Ich möchte in einer Welt leben, in der man Freundlich- und Fröhlichkeiten auch mit Fremden tauschen kann, ohne zwangläufig unter Flirtverdacht zu geraten. In der zum Erwartungen erzeugen oder Fremdflirten mehr als „cooles T-Shirt“ gehört.

Klar – einige solcher ungestelzten Ansprachen eigenen sich auch wenn man tatsächlich auf Flirtkurs ist. Heißt das, weil man auch damit flirten kann, flirtet man immer damit? Nö. Wird das Plaudern für Flirten gehalten, lässt sich das doch leicht aufklären! Wird das Flirten für Plaudern gehalten – super. Man ist authentischer und kann unerkannt wieder aus der Unterhaltung heraussurfen, wenn man feststellt, die Wellenlänge ist mikroskopisch. Und ein möglicher Korb fühlt sich nicht so strohig an.

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